Den Anhalteweg solltest du berechnen können
Wichtige Voraussetzung: Du kannst abschätzen, welche Strecke du benötigst, um von einer bestimmten Geschwindigkeit zum Stillstand zu kommen. Wovon ich rede, wird in der Fachsprache als “Anhalteweg” bezeichnet. Diesen solltest du wie den sogenannten “Bremsweg” und “Reaktionsweg” errechnen können. Damit dein Schutzengel nicht ständig Sonderschichten schieben muss.
Laut Angaben des Statistischen Bundesamts kommt es auf Deutschlands Straßen zu etwa 2,4 Millionen Verkehrsunfällen. Häufige Ursache: Die Unterschätzung der eigenen Reaktionszeit und des tatsächlichen Bremswegs bis zum finalen Stopp. In der Fahrschule einmal gelernt, verkümmert im Verkehrsalltag die Berechnung von Brems-, Reaktions- und ANhalteweg plötzlich zur großen Unbekannten. Dabei ist’s, wie ich euch gleich zeigen werde, gar nicht so schwer.

Anhalteweg = Reaktionsweg + Bremsweg
Der Anhalteweg setzt sich aus Reaktionsweg und Bremsweg zusammen. Die entscheidende Größe für die Berechnung aller drei Wege hat der Motorradfahrer dabei buchstäblich immer selbst in der Hand: die Geschwindigkeit.
1. Der Reaktionsweg: Sehen, erkenne und reagieren dauert seine Zeit
Die Reaktionszeit ist die Zeitspanne, die der Fahrer benötigt, um eine Gefahr wahrzunehmen und dann die Bremse zu betätigen. Falls keine Medikamente, Alkohol oder andere Drogen im Spiel sind, benötigt man dazu gewöhnlich eine Sekunde. Die Meter, die der Fahrer in dieser Zeit bei einem bestimmten Tempo zurücklegt, ist der Reaktionsweg. Er berechnet sich durch folgende Faustformel: Reaktionsweg = (Geschwindigkeit ÷ 10) × 3. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h beträgt allein der Reaktionsweg also schon 30 Meter.
Beispiele für die Errechnung des Reaktionswegs:
Geschwindigkeit in km/h
Reaktionsweg in Metern
Beachte:
2. Der Bremsweg: Abschätzen, wann euer Fahrzeug nach Bremsbeginn anhält.
Formel für die Berechnung des Bremsweges
Der Bremsweg bezeichnet die zurückgelegte Strecke von Bremsbeginn bis Stillstand des Fahrzeugs. Mit anderen Worten: Wie viele Meter euer Motorrad bremsend zurücklegt. Ohne Reaktionszeit bzw. Reaktionsweg (siehe oben). Für die Berechnung des Bremsweges hat sich folgende Formel bewährt: (Geschwindigkeit ÷ 10) × (Geschwindigkeit ÷ 10). Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h beträgt der Bremsweg demzufolge satte 100 Meter.
Im Falle einer Vollbremsung, der sog. Gefahrenbremsung, bei der Bremse und Kupplung gleichzeitig gedrückt werden, reduziert sich der Bremsweg jeweils noch einmal um die Hälfte. Die Formel ist also zu ergänzen: (Geschwindigkeit ÷ 10) × (Geschwindigkeit ÷ 10) ÷ 2 . Bei unserer vorherigen Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h benötigst du also mit einer Vollbremsung 50 Meter bis deine Maschine hält.
Weitere Beispiele für die Errechnung des Bremsweges:
Geschwindigkeit in km/h
Bremsweg “normal”
Bremsweg “voll”/”Gefahr”
So einfach die Rechnung klingt:
3. Der Anhalteweg: Die tatsächliche Strecke bis zum Halt entscheidet.
Der Anhalteweg ist noch einmal wesentlich länger als der Bremsweg. Er beginnt mit Erkennen der Gefahr und endet mit dem Halt des Fahrzeugs. Der Anhalteweg setzt sich also zusammen aus den Punkten 1. und 2. – dem Reaktionsweg und dem Bremsweg. Ich muss daher zwei Teilwerte ermitteln und addieren (Reaktionsweg + Bremsweg), um den erforderlichen Anhalteweg berechnen zu können.
In der Formel ausgedrückt: (Geschwindigkeit ÷ 10) × (Geschwindigkeit ÷ 10) + (Geschwindigkeit ÷ 10 × 3). Für mein Standardbeispiel mit 100 km/h ergibt sich bei normaler Bremsung ein Anhalteweg von 130 Metern.
Weitere Beispiele für die Errechnung des Anhaltewegs:
Geschwindigkeit in km/h
Anhalteweg “normal”
Anhalteweg “voll”/”Gefahr”
Wichtig:
Maßgebliche Kriterien für die Länge des Bremsweges neben der Geschwindigkeit:
- Wetterverhältnisse
- Boden- bzw. Straßenbeschaffenheit
- Technischer Standard des Fahrzeugs (z.B. ABS vorhanden)
- Zustand der Bremsen
- Stärke der Bremsbetätigung
- Profiltiefe der Reifen
- Zustand des Fahrers (z.B. Reaktionszeit durch Müdigkeit evtl. höher als 1 Sekunde)
Woran ihr noch denken solltet
Motorräder sind verglichen mit Autos zwar Leichtgewichte, dennoch ist ihr Bremsweg meist etwas länger. Das liegt zum einen an den etwas schwächeren Bremsen. Zum anderen haben hier auch nur zwei Reifen Bodenhaftung. So ist die entstehende Reibung geringer und die Bremswirkung entsprechend schwächer.
Mein Rat
Lernt für bestimmte Tempostufen einfach den jeweils erforderlichen Anhalteweg mit Hilfe der Formel und meinen Beispielfällen auswendig. So könnt ihr euch diesen in jeder Situation bewusst machen. Ansonsten gilt: Fahrt vorausschauend und den Bedingungen angemessen. Sollte z.B. bei Nebel die Sichtweite unter 50 Meter liegen und ihr ein Hindernis bemerken und bremsen, kommt ihr bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h nicht mehr rechtzeitig zum Halt. Und mit der vielleicht rettenden Vollbremsung riskiert ihr bei Nässe den eigenen Sturz oder einen Auffahrunfall.
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Autor des Beitrags

Thorsten Rechtien
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Kommentare
Vielen Dank für den Beitrag zum Thema Bremsen und Anhalteweg. Mein Bruder hat vor kurzem eine Vollbremsung hingelegt, weil er den Sicherheitsabstand nicht eingehalten hatte. Gut zu wissen, dass man den Bremsweg anhand einer Formel berechnen kann und der Anhalteweg immer länger als der eigentliche Bremsweg ist.